19. Dezember 1906, Stuttgart/D – 3. April 1977, Bietigheim/D
Persönlicher Werdegang:
Sohn eines Kaufmanns; Mittlere Reife 1922; Eintritt in die NS-Jugend (später Hitler-Jugend); 1922 bis 1925 kaufmännische Lehre; ab Sommer 1925 Angestellter beim Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband; Eintritt in den Artamanen-Bund (freiwilliger Arbeitsdienst); ab Frühjahr 1932 arbeitslos; nach 1945 von der US-amerikanischen Militärpolizei verhaftet; nach seiner Flucht aus einem Auslieferungstransport nach Polen arbeitete Boger bis 1949 als Hilfsarbeiter auf Bauernhöfen; seit 1950 angestellt bei der Firma Heinkel in Zuffenhausen.
Funktionen während des NS-Regimes:
Angehöriger der Allgemeinen SS seit 1930; 1933 zur Hilfspolizei Friedrichshafen; im Juli 1933 zur politischen Bereitschaftspolizei nach Stuttgart; anschließend zur württembergischen politischen Polizei; Verhaftung wegen Mißhandlung während einer Vernehmung 1936; 1937 Kriminalsekretär; nach Beginn des Krieges zur Stapo-Leitstelle Zichenau; später Grenzpolizeikommissariat Ostroleka; vom Polizeipioniersbataillion Dresden nach Auschwitz versetzt; zunächst als Zugführer der 2. Wachkompanie eingesetzt, später bei Politischen Abteilung (Abt. II) als Leiter des Referats Ermittlungen und Vernehmungen vom 23. Dezember 1943 bis zur Evakuierung; Angehöriger der SS-Mannschaft im KZ Auschwitz vom 1. Dezember 1942 bis zur Evakuierung; letzter Dienstgrad: SS-Hauptsturmführer.
Zur Zeit der Verhandlung:
57 Jahre, verheiratet.
Untersuchungshaft seit Oktober 1958. Wilhelm Boger wurde wegen Mordes in mindestens fünf Fällen und gemeinschaftlichen Mordes in mindestens 109 Fällen und gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu lebenslangem Zuchthaus und fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.
Portrait
Wilhelm Boger
(19. Dezember 1906, Stuttgart – 3. April 1977, Bietigheim)
Boger, Sohn eines Stuttgarter Kaufmanns, machte 1922 die mittlere Reife, durchlief eine kaufmännische Lehre und nahm 1925 seine berufliche Arbeit in seiner schwäbischen Heimatstadt auf. Noch als Schüler trat er der NS-Jugend (spätere Hitler-Jugend) bei, war bis Ende 1928 im Artamanen-Bund tätig und wurde 1929 NSDAP- und SA- sowie 1930 SS-Mitglied. Der kaufmännische Angestellte Boger verlor im Frühjahr 1932, gerade jung verheiratet, seine Anstellung und konnte im März 1933 dank seiner SS-Angehörigkeit die drückende Arbeitslosigkeit durch Einberufung in die Hilfspolizei – vom NS-Regime zur Herrschaftssicherung aufgestellt – beenden. Bei der württembergischen politischen Polizei machte Boger sodann Karriere und brachte es bis zum Kriminalkommissar. Seit Anfang des Zweiten Weltkriegs war er im besetzten Polen bei verschiedenen Staatspolizeistellen in leitender Funktion tätig. Ein Verfahren wegen Beihilfe zur Abtreibung beendete Bogers erfolgreiche Laufbahn bei der Gestapo. Nach kurzer Haft, Degradierung (letzter Dienstgrad: SS-Hauptsturmführer) und Suspendierung vom Polizeidienst zur Bewährung kämpfenden SS-Einheiten zugeteilt, wurde Boger – inzwischen „aus alleinigem Verschulden“ geschieden und umgehend neuvermählt – im März 1942 an der Ostfront verwundet und nach seiner Genesung Ende 1942 im niedrigen Rang eines SS-Oberscharführers nach Auschwitz beordert.
Der erfahrene Kriminalist fand Anstellung bei der Politischen Abteilung, der Lagergestapo, und war alsbald im Range eines SS-Unterführers Referent für Fluchtsachen und Nachrichtendienst. Nach der Räumung des Lagers Auschwitz gelangte Boger ins KZ Mittelbau-Dora und ging auch dort seinem Dienst in der Politischen Abteilung bis zur Auflösung des Lagers nach, bewachte im April 1945 Todesmärsche von KZ-Häftlingen und setzte sich nach der Kapitulation des Deutschen Reiches ins elterliche Ludwigsburg ab.
Boger stand auf Fahndungslisten der Alliierten und wurde Mitte 1945 von der amerikanischen Militärpolizei arretiert. In der Haft gab er bereitwillig Auskunft über seinen Werdegang, machte Angaben über die Tätigkeit der Politischen Abteilung in Auschwitz, nannte Namen von SS-Personal und schilderte seinen KZ-Dienst als normale polizeiliche Arbeit. Boger meinte gar ganz unschuldig und mit scheinbar gutem Gewissen, Auschwitz-Häftlinge als Referenzen nennen zu können. Nach der Vereinbarung der Alliierten (Moskauer Deklaration vom 30.10.1943), NS-Täter an die Staaten auszuliefern, in denen sie Verbrechen begangen hatten, wurde Boger im November 1946 auf Transport nach Polen geschickt. Ihm gelang jedoch die Flucht, er schlug sich in seine Heimatregion durch und verdingte sich bei Bauern. Ohne polizeiliche Anmeldung und unerkannt lebte er bis zu seiner Verhaftung Mitte 1949 unbehelligt. Wegen einer im Jahr 1936 begangenen Straftat wurde Boger kurzzeitig in Haft genommen, das angestrengte Verfahren stellte die Anklagebehörde jedoch alsbald ein. Seit Herbst 1950 arbeitete er bis zu seiner Verhaftung im Oktober 1958 in Zuffenhausen bei Stuttgart. In Freiheit gelangte der berüchtigte Folterer von Auschwitz nicht mehr. Zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, verstarb er 1977 in Strafhaft.