2. Juli 1907, Reußmarkt/Österreich-Ungarn – 20. März 1985, Göppingen/D
Persönlicher Werdegang:
Sohn eines Arztes und Apothekers; Volksschule und Gymnasium in Reußmarkt bis zum Abitur 1925; Studium der Pharmazie in Cluj; rumänischer Militärdienst 1931; Fortsetzung des Studiums und Promotion in Wien bis 1933; anschließend Pharma-Vertreter für die Bayer-Werke in Leverkusen; 1946 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen, studierte Capesius in Stuttgart Elektrotechnik; im Juli 1946 von einem früheren Häftling in München erkannt, wurde er von der US-amerikanischen Militärpolizei verhaftet; nach seiner Entlassung arbeitete Capesius weiter als Apotheker.
Funktionen während des NS-Regimes:
1941/42 Apotheker bei der rumänischen Armee; nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Rumänien und Deutschland wurde Capesius zur deutschen Wehrmacht eingezogen; Ausbildung bei der Waffen-SS; im KZ Auschwitz war er Leiter der SS-Apotheke von September 1943 bis zur Evakuierung des Lagers; Angehöriger der SS-Mannschaft von September 1943 bis zur Evakuierung; letzter Dienstgrad: SS-Sturmbannführer.
Zur Zeit der Verhandlung:
56 Jahre, verheiratet, drei Kinder.
Untersuchungshaft seit Dezember 1959. Victor Capesius wurde wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu 9 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1968 aus der Untersuchungshaft entlassen.
Portrait
Victor Capesius
(2. Juli 1907, Reußmarkt/Siebenbürgen – 20. März 1985, Göppingen)
Der Sohn eines Arztes und Apothekers ging im siebenbürgischen Reußmarkt (Österreich-Ungarn) in die Volksschule und in Hermannstadt (Sibiu) aufs Gymnasium. Als er im Jahr 1924 das Abitur machte, gehörte seine Heimat (seit 1920) zu Rumänien. Im nahen Klausenburg/Cluj begann Capesius ein Pharmazie-Studium, setzte es in Wien fort und schloss 1933 mit der Promotion ab. Der Doktor der Pharmazie fand eine Anstellung bei einer Tochtergesellschaft der IG Farbenindustrie AG, heiratete 1934, und suchte in Siebenbürgen Ärzte und Apotheker auf, um die Produkte seiner Firma zu verkaufen. Der Pharmavertreter lernte dabei Menschen kennen, denen er im Sommer 1944 auf der Rampevon Birkenau wieder begegnen sollte. Nach dem Wiener Schiedsspruch 1940 fiel Siebenbürgen an Ungarn und der rumänische Staatsbürger Capesius ging nach Bukarest und leistete im rumänischen Heer seine Militärzeit ab. Im Rang eines Hauptmanns tat er im rumänischen Heer Dienst und führte die Spitalsapotheke eines Armeestandorts. Zwischenzeitlich ging er bis August 1943 auch seiner Tätigkeit als Repräsentant der IG Farben nach.
Im Rahmen eines Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien wurde der Volksdeutsche Capesius im Spätsommer 1943 in Hitlers Wehrmacht eingezogen und verrichtete in Zentral-Sanitätslagern Dienst in Warschau, Berlin und Dachau. Bereits bei seiner ersten Station, in Warschau, wurde Capesius der Waffen-SS unterstellt und erhielt den sogenannten Angleichungsdienstgrad eines SS-Hauptsturmführers. Als nunmehriges Waffen-SS-Mitglied wurde er von seiner vorgesetzten Behörde, dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt nach Oranienburg befohlen und Anfang 1944 nach Auschwitz geschickt. Capesius sollte den erkrankten Leiter der SS-Apotheke von Auschwitz vertreten. Der Tod des Chefapothekers im Februar 1944 brachte Capesius unverhofft die Leitungsstelle ein. Bis zur Lagerauflösung im Januar 1945 verblieb Capesius in dieser Funktion. Die Flucht vor der Roten Armee endete für ihn in der Reichshauptstadt Berlin, das Kriegsende erlebte er in Schleswig-Holstein, wo er in britische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach einem Jahr entlassen ging Capesius nach Stuttgart und begann an der Technischen Hochschule Elektrotechnik zu studieren. In München zu Besuch erkannte ihn ein Auschwitz-Überlebender, der spätere Prozess-Zeuge Leon Czekalski auf der Straße wieder und zeigte den vormaligen SS-Sturmbannführer von Auschwitz an. Die amerikanische Militärpolizei griff zu und Capesius wurde in Internierungslagern in Dachau und Ludwigsburg festgehalten. Da ihm nach Auffassung der amerikanischen Stelle keine Verbrechen nachzuweisen waren, entließen ihn die Amerikaner im August 1947. Capesius fand Beschäftigung in seinem Beruf bei einer Stuttgarter Apotheke, machte sich im Oktober 1950 selbstständig und erwarb die Markt-Apotheke in Göppingen. Im schwäbischen Reutlingen betrieb er später auch einen Kosmetiksalon. Zuletzt hatte der erfolgreiche Geschäftsmann 12 Angestellte und im Jahr 1958 einen Umsatz in Höhe von DM 400.000.
Anfang Dezember 1959 wurde Capesius in Göppingen verhaftet. Seine Untersuchungshaft dauerte acht Jahre. Noch bevor das Schwurgerichtsurteil vom August 1965 im Februar 1969 rechtskräftig wurde, kam der zu neun Jahren Zuchthaus verurteilte Capesius im Januar 1968 aus der Untersuchungshaft frei. Bürger Göppingens wissen zu berichten, der wegen Mordbeihilfe in vier Fällen an jeweils mindestens 2000 Menschen Abgeurteilte – wie es im Urteilstenor heißt – sei noch am Tag seiner Haftentlassung beim Besuch eines Stadtkonzerts mit Beifall begrüßt worden. Sein Geschäft hatte Capesius seiner Ehefrau, selbst Apothekerin, überschrieben lassen. Der mittellose Gatte wurde zum Angestellter seiner Gattin.